Andacht für den 4. Sonntag nach Trinitatis, 5. Juli 2020 von Wolfgang Czekalla

Römer 12,17-21

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. 
Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 
Ist’s möglich, soviel an euch liegt, 
so habt mit allen Menschen Frieden. 
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, 
sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; 
denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): 
«Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.» 
Vielmehr, «wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
dürstet ihn, gib ihm zu trinken. 
Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln» (Sprüche 25,21-22). 
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, 
sondern überwinde das Böse mit Gutem.
 
Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.
 

Liebe Gemeinde,
Es ist nicht immer einfach, als Christ zu leben. Wenn im Predigtwort von Hass und Frieden die Rede ist, dann sind das Dinge, mit denen wir uns tagtäglich herumschlagen. Aber wie verhalten wir uns in solchen Situationen?

Wenn möglich, sollte mit allen Menschen in Frieden gelebt werden.

Paulus weiß wie schwer es ihm und uns Menschen fällt auf Böses nicht mit Bösem antworten. 
Aber was tun, wenn uns ein Mensch ganz bewusst und gezielt etwas angetan hat? Da schwillt uns doch der Kamm. Da kommt Wut in uns auf und nimmt uns in Beschlag.

Wir wehren uns nach dem Motto: „Wie du mir, so ich dir“. Schließlich können wir uns nicht alles gefallen lassen! Wenn sich die Gelegenheit bietet, wird „zurückgeschlagen“. Wir teilen selbst aus und setzen verärgert unser Recht „mit allen Mitteln“ durch. Und schon haben wir dem Bösen Raum gegeben.
Wie können wir das, was Paulus hier fordert: Böses nicht mit Bösem vergelten? Aus uns heraus können wir es nicht.    Böses mit Gutem zu überwinden, das ist nicht nur eine Sache von Vernunft und Klugheit. Für Paulus spielt das Gottvertrauen eine große Rolle. Es gibt Situationen im Leben mit denen wir nicht zurechtkommen. Was über unsere Kräfte geht, dürfen wir getrost Gott übergeben.

Was wir können ist, aufgrund unseres Vertrauensvorschusses von Gottes Gnade, es zu versuchen: “ Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“.

Im Wissen dass Gott uns und unsere Mitmenschen (auch unsere Feinde) liebt, trotz unserer Fehler und Schwächen, sollten wir es wenigstens versuchen einfach mit Liebe zu den Menschen zu gehen. Nicht immer berechnend auf unseren Vorteil, auf unser Ansehen bedacht sein sollen. Wenn in mir Ärger aufsteigt, dann nicht gleich mit gleicher Münze heimzahlen.  Jesus Christus hat es uns vorgemacht und vorgelebt. Gegen den Hass fand er Worte der Liebe, gegen Spott und Verachtung Worte der Vergebung. Wo die Liebe wohnt, da lässt sich nach der ersten Aufregung auch der Zorn steuern. Wer von der Liebe Gottes weiß, der kann seine Sorgen und Nöte auch der Güte Gottes anvertrauen. Wer darauf vertraut, dass einem die eigenen Fehler vergeben sind von Gott, der kann dem anderen leichter dessen Fehler vergeben.

Christen sollen mit allen Menschen in Frieden leben, sagt Paulus. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.  Es ist geradezu befreiend, wie nüchtern der Apostel seine Worte formt: Ist’s möglich, soviel an euch liegt. Er weiß, dass man zum Friedenstiften immer zwei braucht. Und wie oft geschieht es, dass man selber zwar will, aber der andere Teil nicht mittut.
„Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“ – so formuliert es nicht Paulus, sondern Friedrich Schiller in seinem Schauspiel „Wilhelm Tell“. Paulus gibt den Rat: nicht aufgeben, sondern immer wieder probieren. Ist’s möglich, soviel an euch liegt … Das will sagen: Ihr sollt nicht die Flinte ins Korn werfen, wenn der andere euren Friedensbemühungen gegenüber die kalte Schulter zeigt. Es ist kein Zeichen von Charakterschwäche, wenn man als erster den Schritt zum Frieden tut. Friede ist ja nichts, was einem in den Schoß fällt. Gott hat den Frieden gemacht mit den Menschen – und es hat ihn seinen Sohn gekostet. Friedensbereitschaft ist niemals ein Zeichen von Schwäche, sondern des Mutes. 
 
Rache zu üben steht uns nicht zu, sondern allein Gott. Rache ist nicht süß, sondern Rache zerstört mich. Vergebung schenkt neues Leben, wie die folgende Geschichte zeigt:
Der Evangelist Dapozzo erzählt: „Jahrelang habe ich um meines Glaubens willen in einem deutschen Konzentrationslager gelitten. Ich wog nur noch 45 Kilogramm, und mein ganzer Körper war mit Wunden bedeckt. Mein rechter Arm war gebrochen und ohne ärztliche Behandlung gelassen. Am Weihnachtsabend 1943 ließ mich der Lagerkommandant rufen. Ich stand mit bloßem Oberkörper und barfuß vor ihm. Er saß an einer reich gedeckten, festlichen Tafel.
Stehend musste ich zusehen, wie er sich die Leckerbissen schmecken ließ. Da wurde ich vom Bösen versucht: ,Dapozzo, glaubst du immer noch an den 23. Psalm: Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde, du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang!‘ Im Stillen betete ich zu Gott und konnte dann antworten: ,Ja, ich glaube daran!‘ Der Kellner brachte Kaffee und ein Päckchen Kekse. Der Lagerkommandant aß sie mit Genuss und sagte zu mir: ,Ihre Frau ist eine gute Köchin, Dapozzo!‘ Ich verstand nicht, was er meinte. Er erklärte es mir: ,Seit Jahren schickt ihre Frau Pakete mit kleinen Kuchen, die ich immer mit Behagen gegessen habe.‘ Wieder kämpfte ich gegen die Versuchung an.
Meine Frau und meine vier Kinder hatten von ihren ohnehin kargen Rationen Mehl, Fett und Zucker gespart, um mir etwas zukommen zu lassen. Und dieser Mann hatte die Nahrung meiner Kinder gegessen. Der Teufel flüsterte mir zu: ‚Hasse ihn, Dapozzo, hasse ihn!‘ Wieder betete ich gegen den Hass an um Liebe. Ich bat den Kommandanten, wenigstens an einem der Kuchen riechen zu dürfen, um dabei an meine Frau und meine Kinder zu denken. Aber der Peiniger gewährte mir meine Bitte nicht. Er verfluchte mich. 
Als der Krieg vorüber war, suchte ich nach dem Lagerkommandanten. Er war entkommen und untergetaucht. Nach zehn Jahren fand ich ihn schließlich und besuchte ihn zusammen mit einem Pfarrer.      Natürlich erkannte er mich nicht. Dann sagte ich zu ihm: ,Ich bin Nummer 17531. Erinnern Sie sich an Weihnachten 1943?‘
Da bekam er plötzlich Angst: ,Sie sind gekommen, um sich an mir zu rächen?‘ Ja, bestätigte ich und öffnete ein großes Paket. Ein herrlicher Kuchen kam zum Vorschein. Ich bat seine Frau, Kaffee zu kochen. Dann aßen wir schweigend den Kuchen und tranken Kaffee. Der Kommandant begann zu weinen und mich um Verzeihung zu bitten. Ich erzählte ihm, dass ich ihm um Christi willen vergeben werde. Ein Jahr später fanden dieser Mann und seine Frau zum Glauben an Jesus Christus.“
Es wird schwierig bleiben, das „süße“ Gefühl der Rache zu unterdrücken, denn es ist ein starkes Gefühl. Wenn aber das Gesetz der Rache nicht unterbrochen wird, werden aus Opfern der Rache wieder Täter, die sich rächen. Der Kreislauf wird erst unterbrochen, wenn wir den Rachegedanken an Gott abgeben.

Paulus zitiert eine ganz merkwürdige Anweisung, wie man seine Feinde überwinden soll: nicht durch Rüstung, starke Worte oder Gesetz.

Paulus schlägt stattdessen eine aktive Haltung vor, um Gewalt zu vermeiden: Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. 
Tu etwas, so könnte man Paulus interpretieren, womit dein Feind nicht rechnet: gib ihm zu essen, gib ihm zu trinken. 
Tu etwas, womit du ihn in gewisser Weise überraschst. 
Du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. 
Feurige Kohlen auf dem Haupt, das ist ein alter ägyptischer Brauch. Wer sich schämte für etwas, was er getan hatte, der lief mit einem Becken voll glühender Kohlen auf dem Kopf herum.
Tu etwas, was deinen Feind überrascht, schlägt Paulus vor. Bringe ihn durch das Gute in Verlegenheit, so dass es ihm richtig heiß wird. Vielleicht wird er sich ändern. Im besten Fall wird aus einem Feind ein Freund. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Aber versuch es doch wenigstens.

Gelegenheiten gibt es viele: Trotzdem weiterhin zu grüßen. Sich seine eigene Freundlichkeit und Offenheit zu bewahren. Sicherlich fällt Ihnen etwas ein.
In jedem Satz unseres Predigtwortes tritt das Bild Jesu Christi vor uns hin. Er ist es, der sich vom Bösen nicht hat besiegen lassen. Er ist es, der das Böse überwunden hat durch seine Liebe. Er ist es, der mit uns und der ganzen Welt Frieden gemacht hat an seinem Kreuz.
Unser Weg als Christen ist ein Weg, der Menschen durch Liebe und Friedfertigkeit gewinnen will. 
Wo Gutes getan wird, hat das Böse seine Macht verloren. Und wer Gutes tut, darf mit Gottes Hilfe rechnen. Er ist es, der letztlich den Kampf entscheiden wird. 
Wir beten im Vaterunser: „Erlöse uns von dem Bösen“. 
Und wir vertrauen darauf, dass Gott unsere Welt zum Guten wendet.

Amen.